1. Wie ist die aktuelle Lage in Georgien?
Seitdem die georgische Regierung am 28. November erklärte, die EU-Beitrittsverhandlungen bis 2028 auszusetzen, gehen in ganz Georgien und vor allem in der Hauptstadt Tiflis tausende Menschen auf die Straßen und protestieren gegen diese Entscheidung. Die Regierung versucht diese Proteste mit massivem Polizeiaufgebot zu unterdrücken. Wasserwerfer und Tränengas kommen zum Einsatz. Seitens der Demonstrierenden wurden auch Feuerwerkskörper gegen Polizisten verwendet. Bereits seit den Parlamentswahlen am 26. Oktober 2024 kommt Georgien nicht zur Ruhe.
Die Regierungspartei "Georgischer Traum" gewann nach Angaben der Zentralen Wahlkommission mit 53,93 Prozent. Die vier ebenfalls gewählten Oppositionsparteien sowie nationale und internationale Beobachter werfen dem "Georgischen Traum" aber Wahlfälschungen vor. Die Opposition weigerte sich aus Protest ihre Sitze im Parlament zu besetzen und auch die letzte noch vom Volk direkt gewählte Präsidentin, Salome Surabischwili, erkennt das Wahlergebnis nicht an. Sie fordern eine Wiederholung der Wahlen. Auch die EU-Kommission, viele EU-Mitgliedsstaaten und die USA forderten eine Untersuchung der Vorwürfe.
2. Wieso kam es zu dieser Krise und welche Rolle spielt Russland?
Georgien war ein Vorzeigepartner der EU im Rahmen der Nachbarschaftspolitik. Nach Russlands Angriff auf die Ukraine suchte Georgien, wie auch die Ukraine und Moldau, um Beitritt an. Den Kandidatenstatus bekam die Südkaukasus-Republik wegen langsamerer Reformen im Vergleich zur Ukraine und Moldau nicht im Juni, sondern erst im Dezember 2023 verliehen. Dies wurde von Beobachtern dennoch als eine geopolitische Entscheidung und ein Signal an die pro-europäische Opposition vor den heurigen Parlamentswahlen gewertet wurde.
Im April 2024 schlug die Regierung des "Georgischen Traum" aber mit dem sogenannten Transparenzgesetz den Zorn der Bevölkerung auf sich. Es wird als Kopie des russischen "Agenten-Gesetzes" gesehen, mit dem Putin seit 2012 seine politischen Gegner systematisch ausschalten konnte. Auch die EU äußerte massive Kritik. Weitere nicht mit den Menschenrechten kompatible Gesetzesvorhaben Georgiens führten schließlich zu einer defacto Suspendierung der Beitrittsgespräch, wie die EU-Kommission im Fortschrittsbericht vom Oktober 2024 schreibt.
Russland kontrolliert nach wie vor 20 Prozent des georgischen Territoriums, indem es seit dem Krieg gegen Georgien 2008 in den beiden abtrünnigen Gebiete Abchasien und Südossetien Militärbasen unterhält. Die Regierungspartei "Georgischer Traum" pflegt laut eigener Sicht "pragmatische" Beziehungen mit Moskau. Wirtschaftlich ist Russland ein bedeutender Partner für Georgien. Russland mischt sich laut offiziellen Statements nicht in Georgien ein, aber es steht außer Zweifel, dass die zweideutige Rhetorik und Politik des "Georgischen Traums" von Moskau gegenüber einer pro-westlichen und klar demokratischen Entwicklung bevorzugt werden.
3. Wie geht es weiter?
Am 14. Dezember wurde der als anti-westlich bekannte Politiker Micheil Kawelaschwili (und auch einzige Kandidat) von einem Wahlkollegium aus Parlamentariern und Regionalvertretern zum neuen Präsidenten gewählt wurde. Die meisten Stimmen kam von Politiker des "Georgischen Traums". Eine Richtungsentscheidung wird der 29. Dezember sein, wenn Kawelaschwili die Amtsgeschäfte offiziell übernehmen soll. Unklar ist, ob die letzte noch vom Volk direkt gewählte Präsidentin Salome Surabischwili ihre Amtsgeschäfte freiwillig übergeben wird. Sie erkennt die Parlamentswahlen nicht an und daher sei auch die Präsidentenwahl ungültig. Die Proteste könnten also noch weiter zunehmen.
Sollten sich Teile der Verwaltung und Sicherheitskräfte mit den Protesten solidarisieren, würde das die Krise in Georgien deutlich verschärfen. Eine Staatskrise ist in diesem Fall nicht auszuschließen. Einzelne EU-Mitglieder und die USA haben bereits jetzt Sanktionen gegen georgische Politiker, darunter Premier Iralki Kobachidse, verhängt. Gemeinsame EU-Sanktionen wurden am 16. Dezember von Ungarn und der Slowakei per Veto blockiert, weitere westliche Sanktionen dürften jedoch folgen.