Skiplinks

Ukrainische Offensive bei Kursk: Fragen an Oberst Markus Reisner

Ukrainische Offensive bei Kursk: Fragen an Oberst Markus Reisner

1. Wie entwickelt sich die Offensive in Kursk? Kann die Ukraine sich dort dauerhaft festsetzen?

Bis jetzt konnten Teilkräfte von insgesamt drei erkannten bzw. eingesetzten ukrainischen Brigaden jeweils bis zu knapp 15 Kilometer vorrücken und südwestlich von Kursk Gelände in Besitz nehmen. Die Ukraine versucht seit den letzten 48 Stunden, vor allem mit leichten Elementen und Spezialkräften, so weit wie möglich vorzustoßen. Dabei werden die Hauptrouten vermieden, da diese bereits unter Beobachtung russischer Drohnen stehen und gezielt beschossen werden. Die Bilder und Videos der ukrainischen Soldaten aus den eingenommenen Dörfern dienen vor allem der gezielten Informationskriegsführung. Das trifft auch auf die Bilder zerstörter russischer Kolonnen und gefangener Soldaten zu. So soll eine Dynamik entstehen, wie sie im Herbst 2022 im Raum Charkiw stattgefunden hat. Damals dachten die russischen Soldaten, sie seien dabei, überflügelt zu werden, und sind in Panik geflohen. Ein derartiges Vorgehen funktioniert jedoch nur in den ersten 72 Stunden eines überraschenden Angriffs, und dieses Zeitfenster ist nun vorbei. Man erkennt, dass sich die russischen Truppen konsolidieren und laufend Reserven eintreffen. Die Situation in der Ukraine muss hier auch im Zusammenhang mit einer neuerlichen Verschärfung der Lage im Nahen Osten gesehen werden. Kommt es tatsächlich zu einem iranischen Vergeltungsschlag gegen Israel, bestimmt dieses Thema die Schlagzeilen. Die Ukraine muss jedoch, wenn sie weiter Unterstützung (vor allem der USA) erhalten möchte, in den Medien präsent sein.

2. Wird das strategische Ziel in Kursk klarer erkennbar? Schließlich ist eine Verlängerung der Frontlinie mit enormen Kosten und Risiken verbunden…

Das strategische Ziel der Ukraine ist es, kurzfristig aus den Negativschlagzeilen zu kommen und die Moral der eigenen Bevölkerung zu stärken. Mittelfristig versucht man, russische aus dem Donbass verlagerte Kräfte zu binden und somit das dortige Momentum der Russen zu brechen. Langfristig ist es hingegen das Ziel der Ukraine, die eigene Position auf dem Schlachtfeld zu verbessern, um so in eine günstigere Verhandlungsposition zu kommen. Die Ukraine muss nun das militärisch genommene Gelände halten, das heißt, sie muss sich nachhaltig zur Verteidigung einrichten. Das große Risiko besteht für die Ukraine vor allem darin, kostbare Reserven, die eigentlich im Donbass gebraucht werden, im Kursker Raum abzunutzen. Möchte man den gewonnenen Raum südwestlich von Kursk halten, muss man immer weitere Kräfte nachschieben und diese mit Soldaten, Gerät, Waffen und Munition versorgen. Die Soldaten müssen zudem Verteidigungsstellungen errichten, und dies unter permanenter russischer Bedrohung, vor allem aus der Luft. Geht das Kalkül der Ukrainer in den nächsten Tagen und Wochen nicht auf, stehen sie vor dem Dilemma, ab sofort eine noch längere Front versorgen zu müssen. Russland hat hingegen, gemäß Aussagen des ukrainischen Generalstabs, bis Ende des Jahres bis zu 700.000 Mann verfügbar. Damit kann der Abnützungskrieg, trotz der Blamage von Kursk, weitergeführt werden. Die Ukraine hat sich somit durch ihre Offensive bei Kursk im schlimmsten Fall überdehnt.

3. Geht die Verteidigung Kursks bereits zulasten der russischen Offensivbemühungen andernorts? Allgemein: Wie reagiert Russlands Armeeführung?

Russland versucht erkennbar seit 48 Stunden, die Front im betroffenen Raum südwestlich von Kursk zu stabilisieren. Die russischen Streitkräfte schieben dazu langsam Truppen in Richtung der ukrainischen Angriffsspitzen vor. Durch russische Drohnenaufklärung erkannte Ziele, darunter vor allem schweres Gerät, werden durch Lancet- und FPV-Drohnen, Artillerie, Raketenwerfer und Gleitbomben angegriffen. Die Ukrainer versuchen, dieser Aufklärung zu entgehen, weichen in bewaldetes Gebiet aus, vermeiden die Hauptachsen und rücken, wo immer möglich, vor. Im bewaldeten Gebiet setzen die Russen Ka-52- und Mi-28-Kampfhubschrauber ein, welche versuchen, mit ihren Nachtsichtmitteln und Wärmebildgeräten die Ukrainer aufzuspüren. Daher gelang den Ukrainern wiederholt der Abschuss eines russischen Kampfhubschraubers. Es stellt sich vorrangig die Frage nach der Herkunft der zugeführten russischen Reserven. Dass diese bereits aus dem Donbass kommen, ist tatsächlich noch nicht erkennbar. Durch die erkennbaren taktischen Markierungen der russischen Fahrzeuge lassen sich diese der operativen Gruppierung „SEVER“ zuordnen. Dies zeigt, dass die Russen auf operativer Ebene Kräfte aus dem Raum nördlich von Charkiw abgezogen haben. Hinzu kommen vermutlich bis zu zwei Staffeln Su-34-Kampfflugzeuge. Deren Einsatz lässt sich am vermehrten Abwurf von Gleitbomben südwestlich von Kursk erkennen. Um diese Abwürfe zu verhindern, müsste die Ukraine Fliegerabwehr mittlerer Reichweite oder gar ihre F-16 einsetzen. Putin wird keine ukrainischen Truppen im Raum Kursk dulden. Der Einsatz deutscher „Marder“-Panzer im Raum Kursk, einem der wichtigsten Schlachtorte des Großen Vaterländischen Krieges, lässt bereits jetzt die Wogen in den russischen sozialen Medien hochgehen. Die Wut richtet sich hier aber vermehrt gegen die Ukrainer und nicht gegen Putin. Über die Blamage des nicht erkannten Angriffs und den Einsatz und die Gefangennahme von russischen Wehrpflichtigen wird nur am Rande diskutiert. Es ist zudem damit zu rechnen, dass Russland zeitnah einen weiteren massiven strategischen Luftangriff mittels Drohnen, Marschflugkörpern und Raketen durchführen wird.

4. Wie entwickelt sich das Frontgeschehen im Donbass sowie in den südlichen besetzten Gebieten?

Derzeit von den Ereignissen in Charkiw noch weitgehend unbetroffen ist das Momentum des russischen Angriffs im Donbass. Es ist ungebrochen, was man an der anhaltenden Heftigkeit der Angriffe erkennen kann. Es scheint, dass diese an einigen Brennpunkten sogar zugenommen haben. In den letzten Tagen wurden im Zentrum der Front im Donbass weitere Dörfer im Raum westlich von Otscheretyne und bei Torrezk von den Russen, trotz hoher Verluste, eingenommen. Hinzu kommen der Vorstoß der Russen über den Donbass-Kanal und das Bilden eines Brückenkopfes bei Chassiv Yar. Wenn es gelingt, diesen auszuweiten, steht Chassiv Yar vor dem Fall. Den Ukrainern scheint es nicht gelungen zu sein, ihre starke Stellung am Westufer des Kanals zu halten. Weitere russische Vorstöße werden im Norden bei Kupjansk und im Süden bei Ugledar gemeldet. Der Einsatz von Gleitbomben scheint etwas nachgelassen zu haben. Es werden weniger Videos in den sozialen Netzwerken geteilt, die Abwürfe im Donbass-Gebiet zeigen. Hinzu kommen aber nun die Videos der Abwürfe von Gleitbomben bei Kursk, also auf russischem Territorium.

5. Wie ist die Situation rund um das AKW Saporischschja, wo ein Kühlsystem in Brand geraten ist?

Derzeit vorliegende Bilder zeigen, dass im Inneren eines der Kühltürme ein Brand entstanden ist. Ukrainische Medien sprechen davon, dass Russland hier zur Provokation im Inneren Reifen in Brand gesetzt habe. Man könnte dies ebenfalls als russischen Versuch werten, den Blick der internationalen Medien vom Raum Kursk wegzuführen. Für die Medien hat eine mögliche nukleare Katastrophe natürlich höhere Bedeutung als der Vormarsch der Ukrainer an der neuen Front bei Kursk. Die IAEA stellte auf X fest: „Das (IAEA)-Team wurde von ZNPP über einen angeblichen Drohnenangriff auf einen der Kühltürme am Standort informiert. Es wurden keine Auswirkungen auf die nukleare Sicherheit gemeldet.“ Hier lässt sich das russische Narrativ herauslesen. Ein Angriff ukrainischer Drohnen solle eine nukleare Katastrophe auslösen. Wichtig ist in jedem Fall die Bewertung des IAEA-Teams hinsichtlich einer möglichen Eskalation. Und diese scheint im Moment nicht gegeben zu sein. „Es gibt im Moment keine Auswirkungen auf die nukleare Sicherheit!“, stellte IAEA-Generaldirektor Rafael Mariano Grossi noch am Sonntagabend in einer Aussendung (IAEA-Update 242) fest.

6. Was würde ein Kriegseintritt von Belarus bedeuten? Ist die Ukraine dafür aufgestellt, eine Invasion aus Nordwest abzuwehren?

Es würde in jedem Fall eine weitere Eskalation des Konflikts bedeuten. Völkerrechtlich wäre ein weiterer Staat als Aggressor involviert. Obwohl die Ukraine in den letzten über 900 Tagen massiv versucht hat, die Eintrittspunkte aus Belarus in die Ukraine zu sperren und durch Verteidigungsbauten zu verstärken, müsste sie nun auch diese Front bewirtschaften. In Anbetracht der jetzigen Ressourcenlage wäre dies eine massive Verschärfung der Situation. Man müsste nun auch gegen die belarussischen Streitkräfte eine Verteidigungsoperation führen. Der Aufmarsch belarussischer Streitkräfte im Grenzgebiet zur Ukraine ist eine eindeutige Drohkulisse. Er trägt die Handschrift Putins, auch wenn es so scheint, dass der belarussische Präsident Lukaschenko versucht, eine Involvierung seines Landes zu vermeiden. Die Frage ist, ob ihm dies auf lange Sicht gelingt!

Um Ihnen eine nutzerfreundliche Website zu bieten, verwenden wir Cookies. Wenn Sie auf "akzeptieren" klicken, stimmen Sie der Speicherung von Cookies auf Ihrem Gerät zu. Klicken Sie auf "konfigurieren", um bestimmte Cookies anzunehmen oder abzulehnen. Details zur Verarbeitung der Daten finden Sie in unserer Datenschutzerklärung.

Sie können die Cookie-Einstellungen hier konfigurieren. Durch klicken der Auswahlfelder akzeptieren Sie die Verwendung dieser Cookies.

Diese Cookies sind für die Funktion der Website erforderlich und können nicht deaktiviert werden.

Klicken Sie hier, um die Multimedia- und Tracking-Cookies zu akzeptieren.

Es besteht die Möglichkeit, dass Video-Plattformen, auf der eingebettete Videos liegen, Cookies schreiben. Wenn Sie hier klicken, können solche Videos abgespielt werden.

Wir tracken mit Matomo. Mit Ihrer Einwilligung verwenden wir die Open-Source-Software Matomo zur Analyse und statistischen Auswertung der Nutzung der Website. Hierzu werden Cookies eingesetzt. Die dadurch erhaltenen Informationen über die Websitenutzung werden ausschließlich an unsere Server übertragen und in pseudonymen Nutzungsprofilen zusammengefasst. Die Daten verwenden wir zur Auswertung der Nutzung der Website. Eine Weitergabe der erfassten Daten an Dritte erfolgt nicht. Die IP-Adressen werden anonymisiert (IPMasking), sodass eine Zuordnung zu einzelnen Nutzern nicht möglich ist. Die Verarbeitung der Daten erfolgt auf Grundlage von Art. 6 Abs. 1 S. 1 lit. a DSGVO. Wir verfolgen damit unser berechtigtes Interesse an der Optimierung unserer Webseite für unsere Außendarstellung. Sie können Ihre Einwilligung jederzeit widerrufen, indem Sie die Cookies in Ihrem Browser löschen oder Ihre Datenschutzeinstellungen ändern.

Diese Webseite verwendet Google Maps für die Darstellung von Karteninformationen. Bei der Nutzung von Google Maps werden von Google auch Daten über die Nutzung der Maps-Funktionen durch Besucher der Webseiten verarbeitet und genutzt. Weitere Informationen über die Datenverarbeitung durch Google können Sie den Hinweisen zum Datenschutz von Google auf  https://www.google.at/intl/de/policies/privacy/ entnehmen. Dort können Sie im Datenschutz-Center auch Ihre Einstellungen verändern, sodass Sie Ihre Daten verwalten und schützen können.

Es besteht die Möglichkeit, dass Foto-Plattformen, auf der eingebettete Fotos liegen, Cookies schreiben. Wenn Sie hier klicken, können solche Fotos angezeigt werden.

Wenn Sie hier klicken, werden Daten von X (ehemals Twitter) erhoben. Mehr Informationen zu den Daten-Kategorien finden Sie in den Datenschutzrichtlinien von X (ehemals Twitter).

Es besteht die Möglichkeit, dass Podcast-Plattformen, auf der eingebettete Podcasts liegen, Cookies schreiben. Wenn Sie hier klicken, können solche Podcasts angezeigt und abgespielt werden.